Verfolgt man die zahlreichen Diskussionen zum Thema Nachhaltigkeit, so kann man jedoch den Eindruck gewinnen, dass nicht immer zwischen dem gesamtökonomischen (macroökonomischem) Charakter der Sustainable Development Goals (SDG) und den durch die freie Marktwirtschaft definierten Handlungsspielräumen, aber auch Handlungszwängen der einzelnen Wirtschaftssubjekte unterschieden wird. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Wirkzusammenhänge –impact– genauer betrachtet, die durch Maßnahmen u.a. des Gesetzgebers in Gang gesetzt werden. Begibt man sich auf die makroökonomische, also gesamtgesellschaftliche Ebene, bedarf es zur Umsetzung der SDGs einer konkrete Veränderung unserer Lebensbedingungen, die sich durch eine Wirkung (impact) auf die Art und Weise wie wir produzieren, wie wir leben und was wir konsumieren einstellen muss. Die Lebensbedingungen von denen hier gesprochen wird, wurden von der UN in 17 Cluster unterteilt, das prominenteste davon ist das Cluster 13: Klimaschutz. Eine Vielzahl der Diskussionen über die SDGs gibt sich jedoch mit einer durch eine Maßnahme (bspw. der Regulierung) erzeugten Wirkung auf einzelne Wirtschaftssubjekte oder Sektoren zufrieden, ohne dabei den Nachweis zu führen, inwieweit die so erzeugte Wirkung dann auch die im gesamtgesellschaftlichen Kontext gewünschte Wirkung und damit den Wandel erreicht. Bei genauerer Betrachtung haben wir es in der Nachhaltigkeitsdiskussion daher mit Wirkungs- oder impact-Kaskaden zu tun, die den wissenschaftlichen Nachweis führen müssten, dass zwischen Maßnahme und Wirkung Kausalität und Korrelation vorliegen. Erst dieser Nachweis dürfte eine Maßnahme und damit den Eingriff in die Handlungsspielräume von Wirtschaftssubjekten rechtfertigen. Insbesondere zu der von der EU-Kommission verabschiedeten EU-Taxonomie finden sich zunehmend kritische Beiträge, die im Kern den hier angesprochenen Konflikt adressieren und ein nicht beherrschbares Bürokratiemonster, ohne makroökonomische Wirkung, befürchten. Grund genug, sich diesem Thema zu widmen, insbesondere vor dem Hintergrund, einer ebenfalls von der EU-Kommission geäußerten Forderung, die Optionen der Digitalisierung für „sustainable-finance im FSI-Sektor“ einzusetzen.
Ein neues, ressourcenerhaltendes Paradigma des Wirtschaftens ist eben dann gefordert, wenn revenue-getriebenes Wachstum des Einzelnen und die Einhaltung der SDGs, insbesondere die von der EU gesteckten Klimaziele, nicht bzw. nicht mehr rechtzeitig erreicht werden können. Ein neues Paradigma des Wirtschaftens bedeutet dann das Verlassen geliebter Komfortzonen oder in anderen Worten: Verzicht. Revenue-orientiertes, grünes Wachstum ist nur dann grün, wenn deckungsgleich mit dem Erreichen der SDGs besteht. Diese Deckungsgleichheit setzt einen ex-ante Nachweis zu Kausalität und Korrelation von Maßnahmen voraus. Politikern muss bewusst sein, dass diese Diskussion in der „Nach-Corona-Zeit“ offen und ehrlich geführt werden muss, um den gesamtgesellschaftlichen Konsens zu erhalten, bzw. umgekehrt formuliert: um Teile der Gesellschaft, insbesondere die junge Generation, nicht durch leicht durchschaubares „green-washing“ zu verlieren.
Vor dem hier beschriebenen Hintergrund scheint eine genaue Analyse der auf unsere Gesellschaft zukommenden, legislativen Maßnahmen unabdingbar. Dies gilt insbesondere für den Versuch, Nachhaltigkeit durch das Lenken von Finanzströmen via des FSI-Sektors indirekt zu erreichen. Die aktuelle Literatur lässt hier den Schluss zu, dass „gut gemeint“ nicht für alle vorgesehenen Maßnahmen „auch gut gemacht ist“. Der Zweifel nährt sich dabei immer am fehlenden, wissenschaftlichen Nachweis zu Kausalität und Korrelation zwischen Wirkung auf Portfolien und erforderlicher Wirkung auf die SDGs. Es mehren sich Beiträge, die vor einer dramatischen Fehlallokation warnen und das Risiko sehen, dass Nachhaltigkeit zu einem einzelwirtschaftlichen Geschäftsmodell „Regulierung um der Regulierung willen“ wird.
Eine genaue Betrachtung der Maßnahmen ist als Konsequenz dann auch aus Sicht des Investitionsschutzes in Digitalisierungstechnologien unabdingbar. Die SDGs und den Klimaschutz ernst nehmend, machen nur dort Investitionen Sinn, wo eine gesamtgesellschaftliche Wirkung einer Maßnahme zu erwarten ist. Umgekehrt formuliert: Der Versuch, Nachhaltigkeit zu einem mikroökonomischen Geschäftsmodell zu machen, kann sich als fataler Fehler erweisen und einer wirklichen Nachhaltigkeit diametral entgegenlaufen. Eine Fehlallokation der Mittel zu Lasten der Zukunft aller nachfolgenden Generationen wäre die Folge. Die Diskussion hierzu steht zweifellos noch an Ihrem Anfang, sie ist jedoch zu führen.
Reiner Bihler, SAP
Bei der Sustainability Convention der V.E.R.S. Leipzig GmbH wollen wir diese Diskussion führen. Unter dem Titel Gesamtgesellschaftliche Betrachtung von Nachhaltigkeitsrisiken stellt Reiner Bihler (SAP) ein Modell vor, dass die makroökonomische und mikroökonomische Betrachtung von Nachhaltigkeitsrisiken aufgreift, die Dimensionen der Wirkungsweisen betrachtet und Lösungsmöglichkeiten diskutiert. Gerne lädt die V.E.R.S. Leipzig GmbH zur gemeinsamen Diskussion bei der ersten virtuellen Sustainability Convention am 25. November ein.
Die Anmeldung ist hier möglich.