Die Zukunft des Verkehrs ist also vermutlich elektrisch. Aber die Abkehr von fossilen Brennstoffen hin zum Elektroantrieb wird nicht einfach sein und gleichermaßen zu einer grundlegenden Änderung des Risikos für Automobilhersteller, Zulieferer und Versicherer führen. Während die Kfz-Versicherung für Elektroautos bereits relativ gut etabliert ist, ergeben sich aus Sicht der Produkthaftpflichtversicherung veränderte Risiken und Herausforderungen. Die hohe technische Komplexität von Elektrofahrzeugen, die zugleich mit einer starken Vernetzung von technischen Bauteilen und “Software” einhergeht, wirft neue Gewährleistungs- und Produkthaftungsrechtliche Fragestellungen auf, da sich die Haftung innerhalb der Liefer- und Produktionskette verschiebt: Wie haften also Hersteller und Zulieferer, wenn beispielsweise bestimmte Einzelkomponenten eines Elektrofahrzeugs zu Mängeln, Unfällen oder Schäden führen?
Die sehr kleinen elektronischen Bauteile, die im Gesamtsystem bei Elektrofahrzeugen eine überragende Rolle spielen, werden heutzutage nicht nur gerne als “Kombibauteile” verwendet, sondern sollen gleich mehrere – und auch sicherheitsrelevante – Funktionen erfüllen. Dabei werden sie zunehmend durch Sensoren sowie eingebetteter Software verbunden, was eine neue Komplexitätsebene hinzufügt. Fällt beispielsweise nur ein Sensor aus oder ist ein Chip defekt, kann das zu einer vollständigen Funktionsunfähigkeit des Fahrzeugs führen. Dies hat eine kostspielige und zugleich komplexe Reparatur zur Folge. Diese Kleinstbauteile werden auch gerne als „Katalogware“ bestellt, wodurch oftmals weder konkrete Spezifikationen noch Haftungsbegrenzungen vereinbart werden. So können selbst „Cent-Artikel“ einen Millionenschaden hervorrufen. Gezeigt hat sich das gerade jüngst wieder bei einem amerikanischen Elektroautohersteller, der im Januar 2021 rund 135.000 Fahrzeuge zurückrufen musste. Grund war ein defekter Chip, der folgenschwere Konsequenzen hatte: Störungen sowie Ausfall des Displays und damit u.a. der Rückfahrkamera und des Richtungsanzeigers. Die dadurch zunehmende Komplexität der Automobilzulieferkette und die Abhängigkeit von Software- und Technologieherstellern führen zu neuen Risiken und geteilten Verbindlichkeiten in der Wertschöpfungskette. Dennoch wird trotzdem oft die konkrete Zuweisung einer “Systemverantwortung” – also die Frage, wer für die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems aus Hard- und Software verantwortlich ist – vernachlässigt.
Gefahren gehen zudem von Cyberangriffen aus, die Elektrofahrzeuge zu ihrem Ziel auserkoren haben. Ähnlich wie bei jeder anderen vernetzten Maschine kann alles im gesamten E-Mobilitätsspektrum – von der Ladestation, über das Batteriemanagement bis hin zur digitalen Schnittstelle – Sicherheitslücken aufweisen.
Trotz ihres Rufs als umweltfreundliche Alternative, können auch Umweltprobleme ein potenzielles Haftungs- und Reputationsrisiko für Elektrofahrzeughersteller und Zulieferer darstellen. Bei der Produktion muss daher sowohl auf eine nachhaltige Beschaffung als auch Entsorgung von kritischen Komponenten und Rohstoffen geachtet werden. Beispielsweise sind Lithium und Kobalt wichtige Bestandteile der Batterietechnologie und Edelmetalle bei Elektromotoren. Ein effektives Recycling, die Wiederverwendung der Materialien sowie die ordnungsgemäße Entsorgung der Hochspannungsbatterien sind daher oft gar nicht so einfach, wie der Fall eines ausgebrannten Elektrofahrzeugs 2019 in Österreich zeigte: Die durch das Feuer stark beschädigte Batterie gilt als hochgefährlicher Sondermüll.
Ein erhöhtes Risiko kann von Elektrofahrzeugen auch bei Unfällen ausgehen. Es stellt sich insoweit die Frage, ob Insassen sowie Rettungsdienste befürchten müssen, dass Fahrzeugteile starkstromführend sind und bei besonders schweren Unfällen Lebensgefahr von diesen ausgeht? Gerade ein verändertes Brandverhalten kann lebensgefährlich sein, da einzelne Elektro-Komponenten im Fahrzeug durch Kurzschlüsse Feuer auslösen können. Auch die Batterie kann bei Überladung, hohen Temperaturen oder Beschädigung verbrennen und dabei gesundheitsgefährdende Gase für Insassen und Rettungsdienste freisetzen.
Eines ist klar: es gibt Vor- und Nachteile von Elektroautos, an denen es für Verbraucher und Versicherer keinen Weg vorbei gibt.
Dr. Tobias Bomsdorf (CMS Hasche Sigle Partnerschaft von Rechtsanwälten und Steuerberatern mbB) wird in seinem Vortrag im Rahmen des Leipziger Gesprächskreis „Industriehaftpflicht” am 07. Mai 2021 besonders relevante Haftungsrisiken in der E-Mobilität beleuchten und ein Bewusstsein für einen praxisgerechten Umgang mit diesen Risiken schaffen. Mehr Informationen zum Gesprächskreis sowie das Anmeldeformular finden Sie hier.